Ansichten eines Steinestaplers

Sich in der Szene zu behaupten ist nicht einfach. Man benötigt ein ruhiges Händchen, Beharrlichkeit und Durchstzungsvermögen, um die eigenen Vorstellungen verwirklichen zu können. Der Stein ist der Gegner. Ganz klar. Ihn zu bezwingen, oberste Direktive.
Es war an einem schönen Tag im März, als ich den Kampf gegen diese schweigsamen Gesellen auf mich nahm.

Ich hatte gerade damit begonnen den Garten aufzuräumen. Er war von winterlicher Brache ganz zerwühlt und unansehnlich, da stieß mein Fuß gegen eine harte Kante. Ärgerlich wollte ich das Hindernis mit einem gezielten Tritt beiseite schaffen, doch irgend etwas ließ mich innehalten. Der Stein verdiente es nicht noch einmal mit meinem Fuß in Berührung zu kommen. Dafür war er schlichtweg zu abstoßend. Gab es nicht eine andere Möglichkeit dieser Grässlichkeit zu begegnen?

ArbeitsplatzEinesSteinestaplers
Typischer Arbeitsplatz eines einfachen Kämpfers gegen die Tyrannei des niederen Gesteins

Überhaupt, Steine. Ich verab-scheue sie. Nichts erzeugt in mir mehr Unbehagen, als die matt glitzernden Kristalle eines Feldspats oder der jadegrüne Schimmer eines Malachits. Und dann sind da noch diese vermaledeiten Kiesel. Niederste aller Schüttgutformen. Von den Gewässern dieser Erde rund geschliffen und von seinen chemischen Bestandteilen mit erdiger Farben versehen, sind sie als Baustoff und Verschönerungs-element in der menschlichen Gesellschaft allgegenwärtig. Es ist ein Unding. Warum mussten diese Kiesel und ich nur in die gleiche Welt geboren werden? Verfluchtes Zwerggestein!

Doch zurück zu dem weichenstellenden Tag im März. Ich packte also den Quell meines Unmuts auf einen Spaten, stapfte zu einem freien Fleckchen Erde, schleifte noch ein paar andere verkümmerte Verwandte herbei, kramte Gartenhandschuhe hervor und begann mit meinem Rachefeldzug. Ich war mir absolut sicher. Kein Stein dieser Welt kann es behaglich finden auf Kante zu stehen. Dazu sind sie einfach nicht gemacht. Das erkennt man ja schon, wenn man sich mal umsieht.

DreiSteintrolle
Drei Schichtungen. Für die bezwungenen Bauelemente auf Kante glücklicherweise eine recht unbehagliche Position

So saß ich also da und stapelte und stapelte. Kalte Abscheu in mir trieb mich voran. Und warme Genugtuung überkam mich, als ich eine Stunde später wieder aufsah. Ich hatte es geschafft. Da stand das steinerne Geschmeiß unbequem auf Kante. Grimmig erhob ich mich, um mir ein kühles Belohnungsbier aus dem Keller zu holen.

Lange saß ich an diesem Abend noch im Dämmerlicht und betrachtete die Schichtungen in all ihrer Unbequemlichkeit. Der Kampf hatte begonnen! Mein Leben als Steinstapler lag vor mir und zum ersten Mal strahlte die Zukunft  ungewohnt verheißungsvoll.

Frühwerk

Hinternfort im östlichen Wurgistan arbeitet Herr Mittelnas im Frühwerk des Konzerns. Er bekleidet den Posten des Frühaufsehers und ist somit Herr über eine ganz erkleckliche Anzahl Frühe. Seine Aufgabe besteht hauptsächlich darin die Frühherde jeden Tag aufs neue zu bändigen. Eine wichtige und verantwortungsvolle Position, denn Frühe neigen dazu einfach zu verschwinden wenn man sie nicht im Auge behält und bändigt.

Frühe schicken. Das ist schon immer seine Arbeit gewesen und auch die Arbeit seiner Vorväter. Mittelnas ist gut in dem was er tut. Und gut ist auch der Konzern zu ihm. Erfahrene Frühaufseher sind rar gesät und so zahlt man ihm ein üppiges Gehalt. Hinternfort, im östlichen Wurgistan. Herrn Mittelnas ist das durchaus bewusst. Frau Mittelnas ebenso. Die kleine Imm Imm I. Mittelnas jedoch spielt lieber hinten im Garten mit dem gescheckten Hausfrühchen.